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Ein kleiner Zwischenbericht

Für die Studienstiftung, die das Stipendien-Programm organisiert, mit dem ich hier in China bin, habe ich einen kurzen Zwischenbericht geschrieben, den ich den Lesern des CHINAblogs natürlich nicht vorenthalten möchte, auch wenn’s für regelmäßige Leser vielleicht nicht viel Neues zu lesen gibt ;).

Was ist in China anders als bei uns?

Nachdem ich eher durch Zufall an das China-Stipendienprogramm geraten bin und mit der notwendigen Portion Glück aufgenommen wurde, habe ich mir für das Jahr in China zwei ganz banale Dinge vorgenommen: Chinesisch Lernen und Reisen, um Land und Leute kennen und vielleicht ein bisschen verstehen zu lernen. Beiden Zielen – so glaube ich zumindest – bin ich im ersten halben Jahr hier ein ganzes Stück näher gekommen.
Natürlich wird mein Chinesisch niemals perfekt und ganz verstehen wird man die Chinesen und das Land auch nie. Aber Momente, in denen einen die neue Vermieterin entgeistert anstarrt, weil sie nach dem Telefonat zur Terminabsprache einen Chinesen (wenn auch einen aus dem Süden mit entsprechend nicht ganz optimalem Mandarin) erwartet hat, halten die Motivation, stetig ein kleines Stückchen auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen, aufrecht. Und was das Verständnis des Landes und seiner Bewohner angeht, stelle ich von Zeit zu Zeit fest, dass auch Chinesen damit ihre Probleme haben. Die vielbemühte Umschreibung mit “Land der Gegensätze” für China ist vielleicht genauso schwammig wie zutreffend. Jedenfalls kann man durchaus vier sich widersprechende Aussagen erhalten, wenn man drei Chinesen fragt, was das Besondere an China ist. Und wahrscheinlich wird man noch nicht einmal sagen können, wer falsch liegt - wahrscheinlich haben sie nämlich alle Recht …

Selbst habe ich auch noch nicht eine einzige Antwort auf die eben gestellte Frage gefunden. Je länger ich aber hier bin, desto häufiger entdecke ich aber einige Konstanten, die sich ständig wiederholen.
Zum einen wäre da natürlich, was vielleicht einem Beobachter von Außen auch auffällt, dass in China alles etwas größer dimensioniert ist. Ob das jetzt die Menschenmenge ist, die am Nationalfeiertag durch die Fußgängerzone flaniert (bzw. sich irgendwie versucht durchzudrücken). Ob das die Weite des Landes ist, in dessen Tälern der Europäer Ebenen erkennt, in dessen Flüssen Seen wenn nicht Meere ausmacht und dessen Hügel einem manchmal schon wie Hochgebirge erscheinen - ganz zu schweigen von den wirklich hohen Gebirgen. Ob es die Vielzahl an Hochhäusern ist, die wie Grashalme aus dem Boden wachsen (vielleicht sogar etwas schneller - auf jeden Fall kann man beim Wachsen zuschauen) und deren kleineren Objekte manchmal sogar die Frankfurter Skyline wie eine Zwergenstadt dastehen lassen. Oder ob es einfach nur der Busbahnhof ist, der in größeren Städten fast wie ein Flughafenterminal daherkommt.
Die zweite wichtige Konstante ist die Trennung, die Chinesen vornehmen zu scheinen, wenn sie ihre Umgebung beurteilen. Ich nehme einmal die westlichen Ausländer heraus, die häufig mit einer Mischung aus Bewunderung und Interesse angesehen und im Allgemeinen sehr freundlich behandelt werden, wenn auch manchmal mit etwas Distanz oder großer Verwunderung (”huch, es kann sprechen!”). Also einmal ausgenommen von diesen wenigen Ausländern, denen man das sofort ansieht, scheinen die meisten Chinesen gerne in zwei Kategorien zu teilen: die Freunde (und Verwandten) und die Nicht-Freunde, die Untergebenen und die Vorgesetzten, die Leute, die noch potentielle Kunden sind und die, die entweder schon bezahlt haben oder sowieso nichts kaufen werden, … Jeweils eine Gruppe wird zuvorkommend, freundlich, warmherzig und mit allem Charme behandelt und umworben; gegen die andere wird getreten, geboxt, geschubst, und was auch immer, um sich selbst und der ersten Gruppe den ersten Platz im Bus, Zug, Flugzeug (auch wenn die Plätze vorher schon fest vergeben sind ;)) zu ergattern, den besten Platz im Restaurant, den größten Anteil vom Buffet, den Platz an der besten Schule, der besten Uni, … Das Ganze könnte damit zusammenhängen, dass es auf der einen Seite einfach wirklich sehr viele, wenn nicht zu viele Chinesen gibt - vor allem in den hochbevölkerten Regionen Ostchinas, auf der anderen Seite die Chinesen aber tendenziell für den jetzigen Augenblick leben und nicht für die Zukunft planen. Entsprechend kann sich kein richtiges Gefühl für die Gesellschaft an sich, sondern eben nur für Familie und Freunde entwickeln.
Genau daraus resultiert meiner Meinung nach auch die dritte Konstante, die ständige Pseudo-Professionalität, der man fast überall begegnet. Vielleicht ist dieser Begriff etwas unglücklich gewählt. Was ich damit ausdrücken möchte ist das Phänomen, dass alle ständig sehr beschäftigt sind, viel arbeiten, lernen und Termine haben, der Effekt aber oft nur sehr klein ist, dass alles (na gut, zugegeben nicht alles, aber immerhin vieles) auf den ersten Blick schön aussieht, aber bei genauerer nicht das hält, was es zu sein verspricht. Die chinesischen Studenten lernen ungefähr mindestens 27,4 Stunden am Tag, aber wenn sie die Universität abgeschlossen haben, sind sie auch nicht zwangsläufig besser als die deutschen - und das liegt sicher nicht daran, dass man in Europa intelligenter ist, sondern vielmehr daran, dass das Lernsystem hier nicht unbedingt auf selbständiges Lernen ausgelegt ist und die Lernzeit auch nicht effektiv genutzt wird (hauptsache, man sitzt 27,4 Stunden am Tag am Schreibtisch). Im kleinen Supermarkt um die Ecke sind den ganzen Tag über 20 Leute angestellt, die geschäftig in den Gängen stehen, sich den neuesten Tratsch aus dem Viertel erzählen und den Kunden erzählen, dass das (etwas billigere) Produkt qualitativ nicht zu empfehlen sei und man besser das doppelt so teure kaufen solle ;). Und wenn ein neues Haus gebaut wird, dann wird das zwar mit glänzenden Türgriffen übergeben, aber schon am zweiten Tag beginnt an manchen Stellen der Putz zu bröckeln und nach einer Woche hat der erste Fahrstuhl einen Defekt. Kurz und gut, das meiste scheint zwar auf den ersten Blick sehr toll (fleißige Studenten, viele Leute für den Service, schöne neue Häuser in Rekordtempo gebaut), aber entpuppt sich häufig dann doch nur als die “billige” und nicht als die “günstige” Lösung. Es ist eben einfacher, jetzt ein schönes Leben zu haben, einen Tratsch zu halten, das Haus nur aufzustellen, anstatt es ordentlich zu bauen. Dann hat man jetzt keine Probleme – und was morgen passiert ist jetzt ohnehin egal.
Vielleicht hat der eine oder andere die Übertreibung meiner Schilderung bemerkt. Natürlich gibt’s auch die Regel bestätigende Ausnahmen und natürlich kann man nicht alles so auf eine solche schwarz-weiß-Sicht reduzieren wie das vielleicht gerade geschehen ist. Ich würde diese Punkte aber als die wichtigsten ansehen, wenn man mich fragen würde, was den Unterschied zwischen Europa und China ausmacht. Ohne behaupten zu wollen, dass zu Hause alles optimal ist, möchte ich mich doch so weit aus dem Fenster lehnen, zu prognostizieren, dass diese Lebenseinstellung noch zu einem großen Hindernis beim Aufstieg Chinas werden kann. Herauszufinden, woher genau die Unterschiede kommen und ob diese sich zum Wohle Chinas, aber auch der restlichen Welt, ändern können, ist (auch wenn es doch ein etwas komplexeres ist) vielleicht mein Ziel für’s nächste halbe Jahr ;).

So, genug philosophiert, jetzt noch ein paar Worte zu meinem Leben im Allgemeinen hier in China. Seit ich hier angekommen bin, habe ich schon an vier Orten gewohnt. Zunächst einmal zwei Wochen im Wohnheim, um eine Wohnung zu suchen. Danach in der neu gefundenen Wohnung, die dann allerdings nach zwei Monaten verkauft worden ist. Kurzfristig hab ich mich dann für zwei Monate in einer chinesischen WG (zwei Chinesen und ich) einquartiert, bevor ich nun Anfang Januar mit einer japanischen Mitstudentin eine schöne Wohnung in einem etwas ruhigeren Viertel bezogen habe. In diesem halben Jahr bin ich also shcon öfter umgezogen als in meinem ganzen Leben zuvor ;), aber jetzt hoffe ich, die restliche Zeit keine neue Wohnung mehr suchen zu müssen.
Trotz allen Strapazen, die das Leben in China im Allgemeinen (schlechte Luft, zu viele Leute, Lärm, nicht funktionierendes Internet und schlechter Service wenn der Computer kaputt ist ;), …) und das Umziehen im Speziellen so mit sich bringt, habe ich aber eine sehr glückliche Zeit verbracht. Vielleicht war es sogar eine der glücklichsten in meinem Leben überhaupt. Das kommt insbesondere daher, dass Chinesisch (also nur die Sprache) Lernen zwar auch manchmal anstrengend sein kann, mit einem richtigen Studium aber nicht vergleichbar ist. Schließlich kann man ja auch gleichzeitig Freizeit verbringen und die Sprache lernen ;). Und weil ich auch viele ehrenamtliche Verpflichtungen, die ich in Deutschland eingegangen bin, hier nicht habe, bleibt umsomehr Zeit für Freunde, Urlaub, Nachdenken und viele andere Dinge, die man eigentlich viel öfter machen möchte, für die aber meistens die Zeit fehlt.
Das Jahr in China ist also gleichzeitig Lernen und Entspannen zugleich, eine einmalige Chance, die man vielleicht nie wieder im Leben so bekommen wird!

Ein Kommentar to “Ein kleiner Zwischenbericht”

  1. Qing hat geschrieben:

    hi, vielen Dank für deine Skript für die Vorlesung, jetzt studiere ich an der Uni Konstanz auch, deine Skript ist sehr hilfreich.
    Du hast ein Jahr in China und ich bin auch fast ein Jahr in D. gewessen, ich kann total verstehen, was ist die große Unterschied dazwsichen und ich freue mich darauf, du hast eine ziemlich gute Eindruck von China gegeben. Ein paar Tag später ist unsere Frühlingsfest, ich wünsche dir alles Gute im neuen Jahr!

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